Aus: Mails und Gespräche mit Betroffenen 2011
Mitte der 1960er Jahre bis Anfang der 1970er Jahre: Ich hatte bis heute immer Angst, über diese Probleme die wir Heimkinder hatten zu schreiben! Aber durch ein Gespräch mit einem ehemaligen Zögling, nehme ich mir nun Zeit auch über meine Tatsachen zu berichten! Ich werde immer wieder an diese Themen erinnert, obwohl ich sie immer aus Angst verheimlichen wollte! (...)
Da dies Kinderheim aus Klosterfrauen besteht, war immer das erste Gebot beten, beten beten! Das erste Gebot war nicht die Liebe zu den Kindern, sondern, die müssen machen, was wir wollen! Dass sich natürlich bei den meisten Kindern ein gewisser Hass aufstieg war doch normal! Und dieser Hass wurde immer von den Klosterfrauen auf sehr brutaler Weise gezähmt!
Da ich sehr wenig Aufmerksamkeit bekam, habe ich mir des Öfteren mein Gesicht blutig zerkratzt! Was mir aber immer Leid getan hat! Die Lösung der Klosterschwestern war, sie steckten mich in eine Zwangsjacke und die meisten Kinder nannten mich nur mehr die "Riefenkönigin"! Mein Gesicht wurde mit Ichtiol Salbe eingeschmiert. So musste ich auch in die Kirche und zur Kommunion gehen. Ich schämte mich wahnsinnig. Die Zwangsjacke war auch, damit ich mir im Schlaf nichts wieder aufkratze! (...)
Dass wir des Öfteren die Unterhose über den Kopf bekamen, war doch selbstverständlich! Scheitelknien war auch an der Tagesordnung, obwohl man sehr oft die Kinder (absichtlich) vergessen hat!
Vor lauter Angst ging einmal mein Stuhlgang in die Hose, sie können sich gar nicht vorstellen, was dann geschah! Schläge, kein Abendessen, Hose selber mit der Waschrumpel reinigen, und alles, was Gott nicht erlaubt hätte. Und zum Abschluss bekam ich noch 17 kräftige Watschen, damit mir das Hirn nur so rauchte! (...)
Um ca. 5 Uhr in der Frühe wurden wir unsanft geweckt, mussten dann ohne Frühstück in die Waschküche! Da einige Mädchen schon die Menstruation hatten, wurde die Wäsche in einem Steintrog ausgekocht und händisch gewaschen! Dass uns alles natürlich ekelte, kann man doch auch verstehen! Aber ich glaube, dass es den Schwestern egal war, was mit dir passierte! Eines möchte ich unbedingt noch erzählen! Manche Mädchen versteckten die blutige Unterwäsche, aus Angst, weil man sie ihnen auf den Kopf setzte und sie dann durch den Schlafsaal gehen mussten! Nach diesem Erlebnis durften wir in den Speisesaal und konnten mit den anderen frühstücken. Dort gab es immer Butterbrot mit Malzkaffee! Nach dem Frühstück gingen wir um halb acht Uhr in unsere Klasse!
Das allererste, man kontrollierte sofort unsere Fingernägel, wehe sie waren blutig gebissen. Wir mussten uns in einer Reihe aufstellen und die Schwester schlug mit einem Bambus stecken zehnmal auf beide Seiten! Die Hände zitterten vor Schmerz, aber wir mussten trotzdem schreiben. Auch die Lehrerinnen in den Schulen waren Klosterschwestern. (...)
Dass ich heute immer noch schwere Alpträume habe, glaube ich, kann man verstehen! Ich wollte nie über dieses Thema sprechen, bis mich mein Freund darauf aufmerksam machte! Ich habe mir geschworen, dass nie ein Kind von mir einmal ein Heim sehen wird. Dass natürlich nicht nur ich alleine ein Opfer dieser Angelegenheit bin, konnte ich mittlerweile erfahren.
1960er Jahre: In Scharnitz befand sich bereits meine jüngere Schwester, mit mir kam unser jüngerer Bruder am selben Tag dorthin. Sehen durften wir uns nur heimlich, auch ich benutzte dazu die Gänge in den Katakomben, wie ich sie nannte. Einmal wurde ich von Sr. Andrea erwischt, wie ich meinen kleinen Geschwistern Schokolade bringen wollte. Sie schlug mir mit der Faust dermaßen in den Rücken, dass ich zusammenbrach und einige Zeit keine Luft mehr kriegte. Schlagen und demütigen war überall an der Tagesordnung.
1960er Jahre: So allein, so schrecklich allein war ich in Scharnitz, weinen traute ich mich nicht, weil dann gab es Schläge. Ich machte auch ins Bett vor lauter Angst, dann wurde ich kalt geduscht, auch mit dem Rosschwanz durch den ganzen Raum gezerrt vom Bett aus. Stundenlang stand ich oft im Gang und biberte vor Kälte. Besonders abscheulich war, dass ich mit der schmutzigen Unterhose durchs Haus laufen musste, damit mich die anderen Kinder auslachten.
Weil ich so oft kein Essen bekommen habe als Strafe, hatte ich Hunger. Irrsinnig erniedrigend war dann, als ich mich einmal so gefreut habe, etwas Gutes zum Essen zu bekommen und mir das weggenommen worden ist, damit es der Hund abkriegt. Der Hund hat also mehr gegolten als ich. Dafür musste ich wieder alles aufessen, wenn es etwas gab, vor dem ich mich ekelte.
Einer der grauenhaftesten Übergriffe war die Zwangsjacke, das hat mich dann völlig gebrochen, danach habe ich mich nicht mehr aufgelehnt. Und auch ganz ekelhaft war die tägliche Prüfung meines Stuhlgangs, einmal hat mir die Schwester sogar meinen eigenen Finger in den Kot gesteckt. Das war die Abschreckung für Nägelbeißer.