Aus: Gesprächen mit Betroffenen 2011

 

Ende 1950er-, Anfang 1960er Jahre: Geprügelt wurde mit einem Lederriemen, die Ohrfeigen kann ich nicht zählen, ebenso wenig, wie oft man mich an den Haaren gezogen hat. Kopfweh hatte ich regelmäßig. In einem Zeitraum von sechs Jahren war ich mit großer Häufigkeit immer ein paar Wochen im Pechegarten. Zu Hause wurde ich nie geschlagen, Ohrfeigen waren mir fremd, auch in der Schule.

1958 war ich das erste Mal im Pechegarten, da war nichts. Im darauffolgenden Jahr, da vergesse ich den Tag nicht. Ich wurde als Früchtchen empfangen von den „Tanten“, beim Namen durften wir sie ja nicht rufen. Ich habe mich immer anständig benommen, deshalb war das ein so großer Schock, behandelt zu werden, als ob man ein Gauner gewesen wäre.

Ich habe wunderschön gesungen in einem Chor, das durfte ich dann nicht, obwohl das mein ein und alles war. Statt da hingehen zu können, bekam ich eine Riesenohrfeige. Die Spuren hat auch der Lehrer gesehen, aber ich habe nichts gesagt und habe mich dann sehr zurückgezogen. Alles wurde mir im Pechegarten genommen, alles.

Die Heimleiterin hat mich an den Ohren die Straße langgezogen, dass ich geschrien habe. Immer hieß es, dass ich so stur und zornig bin, aber ich wollte nicht im Heim bleiben. Dort war ich eingesperrt und musste den anderen Kindern zuschauen, wie sie spielten. 35 Jahre lang habe ich versucht in meinen Akt reinzuschauen, vergeblich.

1950er Jahre: Meine Mutter ist schon im Waisenhaus aufgewachsen und auch mein Vater hatte eine schlechte Kindheit. Die Mutter hatte nur ein Zimmer, ist Tag und Nacht arbeiten gegangen. Ich war sieben Jahre im Pechegarten und habe so viel verdrängt, dass ich heute nur mehr Bruchteile weiß. Tante C. schlug mich sinn- und grundlos und ließ mich spüren, nichts wert zu sein. Dauernd hieß es Schuhe putzen, Geschirr abwaschen, Socken stopfen.

Einmal bin schwer krank geworden, weil ich nicht das benötigte Diätessen bekommen habe. Und dann bin ich wie eine Verbrecherin behandelt worden, weil man mich des Diebstahls bezichtigt hat, obwohl ich es nicht war. Deshalb wurde ich vor den Kindern verspottet. Und auch weil ich Bettnässerin war, aber das habe ich erst angefangen, als ich im Heim war.

Einmal bin ich geflohen, da hat mich die Polizei zurückgebracht und eine Erzieherin hat mich richtig verprügelt.

Bis heute habe ich nicht gelernt, mich zu wehren. Ich bin wie mundtot und habe kein Selbstwertgefühl. Das Weinen habe ich in meiner schrecklichen Kindheit verlernt. Meine Kinder wissen nichts von meiner Heimzeit. Wenn ich an den Pechegarten zurückdenke, fühle ich immer noch Angst und Hilflosigkeit.

1970er Jahre: Watschen waren an der Tagesordnung, ebenso ein Tritt in den Hintern, ich wurde auch auf den Boden geschlagen oder bekam nichts zu essen. Schlimm war das Verbot, am Wochenende nicht zur Mutter gehen zu dürfen, besonders die Angst, ausgeliefert zu sein.

„Tante“ H. holte mich ständig aus dem Bett, ich musste dann die Hände ausstrecken und sie legte mir zwei Bücher drauf. Dann stand ich und stand ich und stand ich.

Der Duschabend am Freitag war der Horror. Wir mussten uns ausziehen und standen in Reih und Glied. Nackt standen wir vor der Erzieherin und sie musterte uns. Ich hatte immer Angst vor dieser Frau.

Einmal, ich war 13 Jahre alt, erwischte mich eine „Tante“ beim Onanieren, da hat sie furchtbar angefangen zu schreien und mich zu beschimpfen und hat alles vor den anderen Kindern erzählt. Minderwertig, ganz minderwertig fühlte ich mich da. Die Scham ist das Schlimmste, die Beschämung, meine Wehrlosigkeit.